FernUSG

Ein BGH-Urteil und seine Auswirkungen: "Leidtragende sind die Lernenden"

Sünne EichlerBerlin/Lich, Oktober 2025 - Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshof hat am 12. Juni 2025 ein Urteil gefällt, das seit 14. Juli 2025 als Volltext zur Verfügung steht. Gegenstand des Verfahrens, in dem sich die Parteien über Zahlungsansprüche stritten, war das sogenannte "9-Monats-Business-Mentoring-Programm Finanzielle Fitness". Der BGH erklärte den zugrundeliegenden Vertrag für nichtig, weil das Mentoring-Programm nicht über die nach § 12 Abs. 1 Satz 1 FernUSG erforderliche Zulassung verfügte. Doch damit nicht genug: Das BGH-Urteil gewichtet den Anteil der Wissensvermittlung des beurteilten Vertrags, definiert dabei "synchron" und asynchron" im Bildungskontext neu und hinterlässt in der Weiterbildungsbranche eine breite Spur der Verunsicherung. CHECK.point eLearning sprach mit Sünne Eichler über die Auswirkungen.

Das BGH-Urteil bzgl. des Online-Coachings hat die Weiterbildungsbranche in Aufruhr versetzt. Viele Anbieter fürchten nun um die Anfechtbarkeit ihrer Verträge obwohl dieses Einzelurteil nicht unbedingt übertragbar ist. Was sind aktuell die größten Befürchtungen?

Sünne Eichler: Das BGH-Urteil vom Juni diesen Jahres beinhaltet neben einiger Klarheit auch Unklarheiten. Ich nehme wahr, dass manche Anbieter unsicher sind, ob ihre bisherigen Trainingskonzepte unter das Gesetz fallen. Knackpunkte sind beispielsweise die Bewertung von synchronem und asynchronem Lernen sowie der Einschätzung, was als Lernerfolgskontrolle gewertet wird. Manche – und darunter große wie vor allem kleine Anbieter - stellen aufgrund des Urteils ihre Angebot ganz oder teilweise ein. Andere befürchten Bußgelder oder Abmahnungen.

Offenbar führen – vielfach noch nicht vorhandene – rechtliche Begriffsdefinitionen zu Unsicherheiten. So hat auch dieses Urteil nicht geklärt, ob Coaching und Mentoring als "Unterricht" zu betrachten sind. Aber es hat festgelegt, wann ein Online-Meeting als synchron oder asynchron zu betrachten ist. So dass künftig die Aufzeichnung und das zur Verfügung stellen eines Online-Meetings zu einem asynchronen und zertifizierungspflichtigen Lehrmittel des Fernunterrichts wird.

Welche Konsequenzen hat das für Anbieter?

Sünne Eichler: Anbieter müssen nun genau überprüfen, ob ihr Angebot unter das FernUSG fällt. Dazu gehört, dass das Angebot kostenpflichtig ist, unter 50 % synchrone Schulungs-Anteil ist und eine Lernerfolgskontrolle erfolgt. Anbieter müssen also z.B.  genau nachrechnen, wie hoch der synchrone Anteil ihres Angebots ist. Wenn der synchrone Anteil unter 50 % ist, ist eine zeitaufwändige und teure ZFU-Zertifizierung notwendig. Teilweise versucht man, durch ein verändertes Wording dem Gesetz "zu entkommen". Ich finde es bedauerlich, dass Ansätze wie Coaching oder Mentoring, die für die Lernenden sehr wertvoll sind, nun unnötig verkompliziert werden.

Das gleich gilt für Aufzeichnungen von Live Online Session. Diese sind ein wertvoller Service für Teilnehmende, sich im Nachgang Inhalte nochmals in Ruhe anzuschauen. Anbieter werden sich das jetzt genau überlegen müssen, ob sie das noch anbieten können. Denn nun wird ja automatisch die synchrone Session, die aufgezeichnet wird, dem asynchronen Anteil zugerechnet. Leidtragende sind die Lernenden.

Verlangsamt es das Erstellen von Lehrmaterialien in diesem Bereich?

Sünne Eichler: Das Erstellen digitaler, synchroner Inhalte wird auf jeden Fall durch das FernUSG nicht gefördert. Ich denke nicht, dass die Erstellung dadurch unbedingt verlangsamt wird. Ich finde es eher problematisch, dass ja mehr oder weniger das gesamte Material zur Zertifizierung vorgelegt werden muss und dann erst einmal für den Zeitraum der Zertifizierung festgelegt ist. Dynamische Anpassungen, wie es die sich schnell ändernden Anforderungen benötigen, sind dann nicht möglich. Die Lernenden erhalten dann das zertifizierte Material – das nicht unbedingt das aktuellste und beste sein muss.

Hat es Auswirkungen auf mögliche Zusammenstellungen beim Blended Learning?

Sünne Eichler: Ja und zwar ganz entscheidend. Das Gesetz stellt ja per se ein Misstrauen gegenüber Selbstlernangeboten dar und bedingt ja einen Anteil von über. 50 % synchronen Lernen, um sich nicht zertifizieren lassen zu müssen. Das bedeutet, dass moderne Lernkonzepte wie individuelle Selbstlernpfade mit WBTs oder Videos weniger ermöglicht werden und aktuellen Entwicklungen wie Chatbots als Lern-Buddys weniger Rechnung getragen wird.

Erhöht es die Kosten?

Sünne Eichler: Selbstverständlich erhöht eine Zertifizierung und Rezertifizierung die Kosten. Nicht nur die hohe Gebühr für die Zertifizierung muss dann in den Angebotspreis hineinkalkuliert werden. Auch der hohe Zeitaufwand, der von Anbieterseite in die bürokratischen Vorgänge investiert werden, muss ja mit berechnet werden.

Eine weitere Definitions-Unschärfe liegt im Begriff der Lernerfolgskontrolle. Während die ZFU auf ihrer Website angibt, dass Multiple Choice-Tests am Ende einer Lerneinheit keine Lernerfolgskontrolle darstellen, genügt die Möglichkeit einer persönlichen Frage oder Rücksprache bereits, um als zertifizierungspflichtiger Fernunterricht zu gelten. Was bedeutet das für die eLearning-Branche?

Sünne Eichler: Zunächst einmal weiterhin Unsicherheit, denn wie wird beispielsweise mit KI-basierten-Assistenzsysteme umgegangen? Wie soll ein Gesetz und eine Behörde mit aktuellen Entwicklungen mithalten?

Wir wollen doch in der eLearning-Branche modernes Lernen fördern und Trainings-Konzepte, die den Lernenden optimalen Lernerfolg ermöglichen, anbieten. Das FernUSG wirkt da als Innovationsbremse. Ein Gesetz der analogen Ära wird zum Hemmschuh für moderne Bildung in Deutschland.

Grundsätzlich sagt man: 'Wo kein Kläger, da kein Richter'.  Doch welches Risiko laufen Anbieter (in Deutschland), wenn sie diese neuen Definitionen ignorieren?

Sünne Eichler: Auf jeden Fall kann es zu Bußgeldern und Abmahnungen kommen.

Vielerorts werden nun Forderungen nach einer Aktualisierung des Fernunterrichtsgesetzes laut. Schützt das Gesetz, das aus den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts stammt, noch angemessen jene, auf die es heute angewendet wird?

Sünne Eichler: Aus meiner Sicht muss das Gesetz abgeschafft werden, denn es hat in der heutigen Zeit seine Berechtigung verloren. Ich verstehe gut, was der Gesetzgeber vor 50 Jahren gewollt hat – nämlich Verbraucher vor unlauteren Anbietern von z.B. schriftlichen Lehrgängen zu schützen.

Verbraucherschutz ist ein hohes Gut. Dafür braucht es aber in der Weiterbildung kein eigenes Gesetz. Ich habe rechtlich prüfen lassen inwiefern die Verbraucherschutz-Regelungen z.B. in bestehende Bestimmungen im beispielsweise BGB aufgenommen werden könnten. Und es ist mit wenig Aufwand möglich.

Alle reden von Bürokratie-Abbau! Jetzt wäre eine echte Chance dazu! Und gleichzeitig tun wir noch etwas für ein weiteres Thema, in dem Deutschland ordentlich Nachholbedarf hat: DIGITALISIERUNG!

Ich habe eine Initiative zur Abschaffung des FernUSG gegründet. Ich freue mich auf weitere Mitstreiter!